Die Bibliothek, der Mönch und die Sandalen

Bibliothek Metten

Gelesen von Brenda

„Nimm ihre Bücher! Sie sind nutzlose Propaganda. Sie loswerden!"

Das ist tatsächlich passiert. „Duh“, denken Sie, „jeder weiß, wie das Dritte Reich Bücher verboten hat.“

Nicht so schnell. Das hat zwar in Deutschland stattgefunden, aber ich spreche nicht von der Bücherverbrennung der Nazis. Sie haben keine offen regressive Politik erfunden. Dieses Ereignis ereignete sich im Zuge der Säkularisation 1802/1803, eine historische Entwicklung mit einschneidenden Folgen. Auch für Bücher.

Die Säkularisierung ging aus den Napoleonischen Kriegen hervor. Ihr Ziel: der katholischen Kirche das Rückgrat zu brechen. Hart, aber angesichts der Macht, die diese Institution im Laufe der Jahrhunderte aufgebaut hatte, würden nur strenge Maßnahmen eine Veränderung herbeiführen. Die Kirche hatte im Laufe der Jahrhunderte riesige Mengen an Land und Reichtümern angehäuft. Gleichzeitig wuchs aber auch die Macht des säkularen Staates. Staatsoberhäupter hatten im Laufe der Jahre viele Versuche unternommen, die Macht der Kirche einzuschränken, mit mäßigem Erfolg.

Nach den napoleonischen Konflikten war ihre Zeit endlich gekommen. Die Eroberung Europas durch den korsischen Feldherrn verschob das Machtgleichgewicht zugunsten weltlicher Herrscher. Kurfürst Max IV. Joseph von Bayern nutzte die Gelegenheit, um der Kirche Ländereien und Macht zurückzuerobern, darunter Kathedralen, Kirchen, Nonnenklöster und Klöster. Endlich war die Säkularisierung da.

Ich besuche ein solches Kloster in Metten, Niederbayern. Dieses ruhige Dorf liegt abseits der Touristenpfade, etwas nördlich der Stadt Deggendorf. Man kann sich kaum vorstellen, dass es hier zu Aufruhr kam, aber auch hier kam es zur Säkularisierung, ein schickes lateinisches Wort, um das auszudrücken, was Arnold Schwarzenegger viel prägnanter ausgedrückt hat Terminator 2: „Ich brauche deine Kleidung, deine Stiefel und dein Motorrad.“

Unser Reiseführer ist ein Benediktinermönch mit strengem Gesicht, der uns den Weg ins Herz des Klosters weist. Wir stellen uns gehorsam hinter ihn und sind fasziniert vom rhythmischen Rauschen seiner schwarzen Soutane, während er gleichmäßig durch den imposanten, gewölbten Steinflur schreitet. Verschwommene Bilder aus den vergangenen Tagen der spanischen Inquisition schweben vor mir, vermischt mit lebhafteren Bildern von Sean Connery in „Der Name der Rose“, der als Mönch definitiv eine bessere Figur machte als unser Führer.

Das einzige Geräusch ist das Echo unserer Schritte, während wir uns auf die Pilgerreise zur barocken Bibliothek begeben. Das einzige Geräusch, bis ich ein leises, regelmäßiges Quietschen wahrnehme. Ich schaue nach unten und bemerke, dass unser Mönch Sandalen trägt – mit Socken. Seine rechte Sandale gibt bei jedem Schritt ein leises Quietschen von sich.

Ah, denke ich. Das ist eine Erleichterung. Schließlich ist er ein moderner deutscher Mönch. Nur Deutsche tragen Socken zusammen mit Sandalen. Es ist luftig und dennoch bequem und hält Ihre Füße sauber. Aber ernsthaft? Man kann es dem deutschen Pragmatismus zuschreiben. Ich muss nachdenken: Die schwarze Soutane ist eine Uniform; Das Schuhwerk war seine große Chance, seinen Sinn für Mode zum Ausdruck zu bringen. Und das ist alles, was er sich ausgedacht hat.

Meine Überlegungen zu alternativem klösterlichem Schuhwerk werden durch unsere Ankunft am Eingang der Bibliothek unterbrochen. Unser Guide öffnet die Tür. Wir treten ein.

Auf einmal tauchen wir ein in eine Explosion aus Farben, Dramatik und Bewegung. Ich atme tief ein. Das ist exquisit!

Das sind barocke Gemälde, die man an den Decken von Kirchen und Kathedralen sieht und die voller Action und Emotionen sind. Mary ist kurz davor, in Ohnmacht zu fallen. Der Körper Jesu ist verdrehter und entstellter als je zuvor. Heilige kreisen in verzückten Posen gen Himmel. Pure Ekstase in kräftigen Farben. Auf dem Höhepunkt des Barock nutzten Künstler alle erdenklichen Techniken, um ein Höchstmaß an religiöser Hingabe und Hochgefühl hervorzurufen.

Aber das ist keine weitere Barockkathedrale, von der ich viele gesehen habe. Hier hängt die bemalte Decke tief. Kaum betrete ich, stehe ich direkt vor einem Engel, der direkt über meinem Kopf baumelt. Ich drehe mich um und sehe Thomas von Aquin auf Augenhöhe, den Religionsphilosophen, den ich damals in Georgetown studiert habe, immerhin einer Jesuitenuniversität. Ihm gegenüber steht ein weiterer religiöser Philosoph, der italienische mittelalterliche Franziskanermönch Bonaventura.

Andere weltliche Themen spiegeln den Charakter der Bibliothek als Studienort wider. Hieronymus (nicht Bosch, sondern der ursprüngliche Hieronymus), einer der vier großen Kirchenväter der Spätantike, liest Cicero. Odo von Cluny, der zweite Abt des Benediktinerklosters in Frankreich, studiert Vergil.

Unsere Reisegruppe ist winzig. Dafür gibt es einen Grund. Das Kloster versucht zwar nicht gerade, Besucher abzuschrecken, aber man macht sich offensichtlich auch nicht den Kopf, sie anzulocken. Ihre dicht gedrängte Website preist die Geschichte des Klosters und der Kirche, bietet einen Online-Buchkatalog an, erklärt die Methoden der Buchkonservierung – im Grunde alles, was wissenschaftlich ist.

Aber wie zum Teufel (ups! Ich meine Teufel, (natürlich) können Sie die berühmte Barockbibliothek besichtigen? Es erfordert klösterliche Hartnäckigkeit, das Gesuchte zu finden: klick, klick, klick, klick, klickklickklickklickklick – Heureka!

Da ist es: Bibliotheksführungen. Ein kleiner Link unten auf der Seite. An diesem Morgen hatte nur ein anderes Paar die nötige Hartnäckigkeit, es zu finden.

Decken und Wände in leuchtenden Farben. Figuren schlängeln sich um Marmorsäulen und halten gewölbte Decken mit Basreliefs aufrecht. Vergoldete Regale mit Wälzern aus früheren Jahrhunderten. Bei einigen handelt es sich um passende Sets, bei anderen um Einzelbände. Vier Menschen voller Ehrfurcht, die nach oben blicken und versuchen, alles zu erfassen.

Während wir ehrfürchtig an die Decke starren, blickt unser Mönch auf seine Uhr. Nur eine Stunde und so viel Geschichte! Er holt tief Luft. Und die Geschichte beginnt.

Im Zuge der Säkularisierung ordnete der bayerische Kurfürst Max IV. Joseph die Beschlagnahmung sämtlicher Bücher aus Klosterbibliotheken an. Nicht zum Verbrennen (das war der andere Typ), dafür waren sie zu wertvoll. Stattdessen sollten sie als Rohstoff für Papierfabriken verwendet werden. Der Kurfürst schickte seine Diener Hans und Franz mit Pferdefuhrwerk los. Ein paar Wochen später kamen sie mit Kisten voller Bücher zurück. Viele Kisten. Hunderte Kisten.

Es sah so aus, als ob die gesamte über Jahrhunderte sorgfältig aufbewahrte Sammlung der Bibliothek dem Untergang geweiht wäre.

Doch ein mächtiger Mann am bayerischen Hof wusste, dass diese Bücher mehr als nur eine Rohstoffquelle waren. Er rettete Tausende von ihnen und leitete sie in den Lagerraum der königlichen Bibliothek München um. Und wie bei allen Umwälzungen ließ die Säkularisierungswut mit der Zeit nach. Innerhalb weniger Jahre wurden die strengen Maßnahmen gelockert. Ausgewählte kirchliche Besitztümer wurden wiederhergestellt oder als Belohnung an neue Eigentümer übergeben; Einige Mönche und Nonnen durften in ihre Klöster und Nonnenklöster zurückkehren.

Im Jahr 1830 sah der Bibliothekar des Klosters Metten diese Gelegenheit. Vielleicht der derzeitige Herrscher von Bayern, König Ludwig I, war weicher geworden.

"Vater? Ich habe mich gefragt: Glaubst du, wir könnten einige unserer Bücher zurückbekommen? Bitte? Unsere Bibliotheksregale sind komplett leer.“

"Bücher? Kein Problem. Sie können Bücher haben. Ich weiß genau, wo ich welche bekommen kann.“

Der König ließ seine Diener kommen. Hans und Franz waren inzwischen im Ruhestand, und das ist gut so. Wir alle kennen das frustrierende Gefühl, wenn Ihr Nachfolger all die Projekte zunichte macht, an denen Sie so hart gearbeitet haben. Aber Max und Moritz waren neu. Sie waren sich dessen nicht bewusst und gehorchten gerne den Befehlen des Königs, das Buchverunglimpfungsprojekt seines Vorgängers rückgängig zu machen.

„Max! Moritz! Holt ein paar Bücher für die Benediktiner in Metten!“

Max und Moritz gingen gehorsam in den Lagerraum. Sie luden Kiste für Kiste auf ihren Karren und lieferten sie nach Metten.

Und so kam es, dass die Mönche in Metten einige Bücher bekamen.

Aber nicht unbedingt ihre Bücher, einfach Bücher. Irgendwelche Bücher.

Von diesem Drama ist hier heute nichts mehr zu sehen. Bücher stehen wie Bücher stumm in den Regalen. Unser in Sandalen gekleideter Mönch beendet die Geschichte. Das Kloster erhielt zwar einige seiner ursprünglichen Bücher zurück, aber das war reiner Zufall. Die meisten von ihnen stammten aus Klöstern in Schwaben. Max und Moritz hatten sich gerade die Kisten geschnappt, die der Tür am nächsten standen.

Schließlich sagte der König nur Bücher, nicht welche Bücher. Ein Beweis dafür, dass es den Chefs schon damals schwerfiel, klare Anweisungen zu geben.

Was wurde aus dem Rest der königlichen Bibliothek? Bayern verlor 1918 seinen kurzen Status als Königreich, es gibt also nichts mehr Königliches in der Umgebung. Aber die Bücher sind noch da. Sie finden sie im Bayerische Staatsbibliothek in München.

Genau eine Stunde nachdem er mit seiner Arbeit begonnen hatte, blickte unser Mönch auf die Uhr.

Die Zeit ist um! Er richtet seinen Blick auf mich. Hm.

Ich schaue von einer Vitrine auf. Ich versuche, ein Dokument zu entziffern, das in einer alten Schrift geschrieben ist, die ich bis auf den Namen Asam nicht lesen kann. Später erfahre ich, dass es sich um eine Quittung aus dem Jahr 1715 handelt Cosmas Damian Asam für die 500 Gulden, die ihm für das Gemälde auf dem Hochaltar gezahlt wurden. Asam ist in München ein bekannter Name; die Asam-Brüder bauten die Barockkirche das ihren Namen in der Nähe des Stadttores Sendlinger Tor trägt.

Unsere fünfköpfige Gruppe verlässt leise die Bibliothek. Der Mönch, dessen Namen wir nie erfahren haben, verriegelt sorgfältig die Tür hinter uns. Die barocke Pracht ist wieder einmal eingesperrt.

Wir folgen unserem Mönch zurück durch die hallende Steinhalle. Direkt zum Geschenkeladen. Im Inneren war das Fotografieren nicht gestattet, also beeilen wir uns, eines der wunderschönen Hardcover-Bücher voller wunderschöner Bilder der Bibliothek zu kaufen. Oder zwei, in unserem Fall.

Zumindest haben sie das herausgefunden.

Brenda Arnold

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2 Meinungen zu “The library, the monk and the sandals

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