Gemütlich? Sabotieren wir das, indem wir ein Fenster öffnen

cozy room

Listen to Brenda read this

„Was machst du da?“, fragt mich meine Schwester mit einem Gesichtsausdruck, der andeutet, dass ich den Verstand verloren habe.

„Ich versuche, das Fenster zu öffnen“, antworte ich und hebe mein Kinn ein wenig.

"Warum?"

„Zum Lüften.“

„Wir lüften nicht. Wir haben eine zentrale Klimaanlage.“

Ich gab auf. Ihre Fenster waren seit Jahren nicht mehr geöffnet worden und ich lief Gefahr, den Riegel abzubrechen. Meine Schwester dachte schon, ich sei leicht verrückt.

Wieder einmal wurde ich an den einzigen halbwegs freiwilligen Prozess der Germanisierung erinnert, den ich gerade durchlief. Das Erste, was ein Deutscher tut, wenn er einen Raum betritt, ist, alle Fenster zu öffnen, unabhängig von der Jahreszeit. Für einen Deutschen ist die Luft drinnen immer stickig, es sei denn, sie ist geruchlich nicht von der Luft draußen zu unterscheiden. Oder um meine Schwiegermutter zu zitieren: „Es stinkt!“

Ich hörte zum ersten Mal von diesem Phänomen, als ich mit meinem damaligen Freund (heute Ehemann) und seinen Eltern zusammenlebte. Es war Januar, wir hatten gerade zu Abend gegessen und saßen um den Tisch, um uns in der Wärme und Zufriedenheit einer guten Mahlzeit zu sonnen. Die Straßen waren mit Schnee bedeckt und es war minus 10°. Ich sollte anmerken, dass dies in Celsius war, denn wenn man das weiß, fühlt es sich sofort kälter an als Fahrenheit. Irgendwie läuft einem ein kalter Schauer über den Rücken, wenn die Temperatur unter diesen Nullpunkt fällt.

Gerade in dem Moment, als ich begann, mich entspannt und zufrieden zu fühlen und zu denken, dass das Leben vielleicht doch nicht so schlecht war, sprang meine Schwiegermutter erschrocken auf.

„Lüften! Wir müssen lüften! Es stinkt!“ Wir müssen lüften! Es stinkt hier!

Neueste Beiträge:

Dann öffnete sie alle Fenster. Innerhalb von Sekunden war das wunderbare, gemütliche Gefühl nach dem Abendessen nur noch eine ferne Erinnerung. Dies war meine Einführung in die deutsche Tradition des Lüftens.

Jahre später erfuhr ich, dass es für dieses Verhalten tatsächlich eine wissenschaftliche Grundlage gibt. Moderne deutsche Häuser und Wohnungen sind für die Ewigkeit gebaut, mit soliden Wänden, Böden und Decken. Die Böden knarren nicht, die Treppen geben nicht nach, keine Luft dringt um die Fensterrahmen ein; sie sind nahezu hermetisch abgedichtet. Das Nachbarskind muss SEHR laut schreien, damit man es überhaupt hört. Ich schätze, nach zwei Weltkriegen ist man eher vorsichtig, was die strukturelle Stabilität seiner Gebäude angeht. Das Ergebnis? Wenn man die Fenster nicht öffnet und regelmäßig lüftet, schimmeln die Wände, ein häufiges Problem in Wohnungen hier.

Eine Umzugsagentin hier in München hat mir mal erzählt, wie schwer es sei, zugezogene Amerikaner davon zu überzeugen, dass sie regelmäßig lüften müssen. Sie halten sie für verrückt.

Als ich die Wissenschaft hinter diesem Brauch kannte, war ich überzeugt, dass zumindest meine Schwiegermutter nicht verrückt war. Aber ich musste mich trotzdem fragen, ob es wirklich notwendig war, genau in dem Moment zu lüften, als wir alle um den Tisch saßen, sehr gemütlich, jenes schöne deutsche Wort, das genau das Gegenteil des Gefühls verkörpert, das beim Lüften entsteht: behaglich, gemütlich, warm und kuschelig. So, wie man sich fühlt, wenn man am Kamin sitzt und in die Flammen starrt.

Nachdem ich mich über diesen Lüftungswahn mitten im Winter beschwert hatte, gestand mir mein Freund leise, dass seine Eltern dazu neigten, es zu übertreiben. Sie hatten sogar einmal eine Zimmerpflanze auf diese Weise getötet. Irgendwie war es erfreulich, von diesem versehentlichen Pflanzentod zu hören. Nie zuvor hatte ich eine solche Verbundenheit mit einem Stück Vegetation gespürt, und auch danach nicht mehr.

Diese Faszination für Belüftung ist nicht auf meine Schwiegereltern beschränkt. Ich hatte einmal im Büro einen Streit mit einer Kollegin, Andrea. Wir hatten das Glück, in einem Büro mit Klimaanlage zu arbeiten, was in Deutschland, wo die meisten Gebäude gebaut wurden, bevor die globale Erwärmung die Sommertemperaturen in die Höhe trieb, keine Selbstverständlichkeit ist. An einem heißen Sommertag öffnete Andrea alle Fenster, um das hereinzulassen, was sie als „frische Luft“ bezeichnete, was in Wirklichkeit aber ein klebriger, zähflüssiger Dampf war, der sich mit einer Schwere über uns alle legte, die unsere kollektive Produktivität sofort dämpfte. Ein bisschen zu gemütlich für meinen Geschmack.

„Andrea“, sagte ich mit meiner neutralsten Stimme. „Was machst du?“

„Lüften“, antwortete sie und öffnete weiterhin souverän die Fenster.

„Aber dadurch wird die Klimaanlage ausgeschaltet“, fuhr ich in gezwungen lässigem Ton fort.

„Nur für ein paar Minuten“, antwortete sie munter und öffnete das letzte verbleibende Fenster.

Meine Kollegen beobachteten diese Pattsituation regelmäßig und starrten über ihre Monitore. Sie wussten, dass sie sich darauf verlassen konnten, dass ich Andrea in Schach hielt, also meldeten sich die Feiglinge nie zu Wort. Ich schaute auf die Uhr und stand genau 60 Sekunden später auf und schloss alle Fenster wieder, gerade rechtzeitig, bevor die heiße Luft den Sensor der Klimaanlage auslöste, die Anlage abschaltete und das Büro mit der Außenwärme überflutete.

Den Gnadenstoß in Sachen Belüftung versetzte mir mein Mann auf einer Geschäftsreise nach Oslo, Norwegen, wo es im Februar bekanntlich gelegentlich etwas kühler ist. Mein Mann hatte das irgendwie nicht auf dem Schirm. Die Bürgersteige waren mit einer dicken Schicht Eis und Schnee bedeckt und alle Norweger schlenderten fröhlich auf ihren Spikes umher, während er humpelnd dahinhumpelte und versuchte, nicht auszurutschen, indem er sich auf allem abstützte, was er finden konnte.

In seinem Hotelzimmer angekommen öffnete er sofort alle Fenster, um etwas von der lauen skandinavischen Winterluft hereinzulassen und ging ins Bad, um sich die Zähne zu putzen. Als er wieder herauskam, hatte sich die Raumtemperatur gut an die Außenluft angepasst, nämlich minus -20°C.

Er ging in zwei Pullovern, Jeans, seinem Wintermantel, Handschuhen und einer Mütze ins Bett. Aber die Luft! Oh, die Luft war so schön und frisch. Das war es absolut wert.

An dieser Stelle muss ich allerdings ein Geständnis machen: Nachdem ich jahrelang in Deutschland gelebt habe, schlafe auch ich mit leicht gekipptem Fenster, sogar im Winter.

Sie wissen schon, für ein bisschen frische Luft.

Brenda Arnold

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

de_DEDeutsch